Der Freytag: Sucht, dann werdet ihr finden

Ich sitze im Café. Mein nach Italien duftender Cappuccino steht dampfend vor mir; es ist ruhig. Die Welt tickt etwas langsamer im Moment; auch heute soll es wieder um die 35 Grad war werden. Im kleinen Café-Kosmos bin ich jedoch außen vor, denn hier ist es klimatisiert und somit sehr angenehm im Augenblick. Die ersten Zeilen fließen leicht und unbeschwert in mein Notizbuch; ich bin alleine mit mir und meinen Gedanken. Plötzlich wird die Eingangstür aufgerissen und ich befinde mich schlagartig im Hier und Jetzt. Ein nachdenklicher Blick in Richtung Störenfried: Es ist Frank, ein ganz alter Schulfreund. Er erkennt mich sofort wieder, kommt zu mir an den Tisch und nach ein paar einleitenden Sätzen höre ich: »Übrigens, ich bin wieder auf der Suche.« Er erzählt mir seine Lebensgeschichte; spricht über Bianca und wie sich das Schicksal für ihn plötzlich und einschneidend verändert hat. Doch jetzt ist er wieder frei; er hat mit all dem alten Ballast abgeschlossen und ist wieder auf der Suche.

Frank und Bianca waren beide in meinem Abschlussjahrgang. Nach jahrelanger Freundschaft war es plötzlich Liebe; alle waren damals völlig überrascht, sie wurden ein Paar. Jetzt, nach 25 gemeinsamen Jahren, hat sich Bianca völlig überraschend für Frank von ihm getrennt; Franks Welt brach entzwei; seine Zwischentöne klingen hilflos, ratlos, kraftlos. Ich versuche ihm Mut zu zusprechen. Mein Handy piepst – eine Nachricht von meiner Ehefrau: »Ich suche meinen Autoschlüssel. Weißt du, wo er sein könnte?« Ich öffne die App »Wo ist?« Und schreibe zurück: »Dein Schlüssel liegt in deinem Büro. Ich bringe ihn später mit nach Hause. Bin in ca. einer Stunde bei dir. Ist das OK?« »JA super, danke, das reicht. Bis später. Bussi« Ich denke an Platon, an die Philosophie und an die Suche nach Wahrheit. Für Platon ist die Philosophie eine Wissenschaft der Wahrheit gewesen, und er hat auf seiner Suche vieles entdeckt. Nietzsche und Schopenhauer sind auch Suchende gewesen; sie suchten das wahre Selbst; sie fanden auch Fragmente davon; jedoch sind die Konsequenzen ihres Findens bei beiden unterschiedlich gewesen.

»Sucht, dann werdet ihr finden …« (Teil der Bergpredigt: Mt 7,7-11). Dank AirTag findet sich ein Autoschlüssel sehr viel einfacher als die Antworten auf die großen Fragen der Philosophie. Frank reißt mich aus meinen Gedanken; er fragt: »Hast du mein Handy gesehen?« »Nein leider nicht, darauf habe ich nicht geachtet.« Er sucht mit großen Augen und mit schnellem Blick im Café herum; er wirkt leicht hektisch; er verabschiedet sich und verlässt, wie von der Tarantel gestochen das Café. – Wie unterschiedlich wir Menschen doch sind. Was wäre gewesen, wenn Platon damals ein Handy gehabt hätte? Ich glaube, wir würden seinen Namen heute nicht kennen. Ich schalte mein Handy auf lautlos und lege es weg in meine Ledertasche und schreibe an meinem Text im Notizbuch weiter: »Denken und Reden sind dasselbe. Nur dass das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, was ohne Stimme vor sich geht, Denken genannt wird.« (Platon (427-347), griech. Philosoph).

Fortsetzung folgt …

S.

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